Pat und Patachon

Die Kino-Lieblinge des dänischen Stummfilms

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Das dänische Komikerduo Pat und Patachon waren unbestreitbar Favoriten des Stummfilms der 1920er Jahre – jedoch ebenso in den ersten Jahren des Tonfilms und darüber hinaus. Ihr Erfolg sprengte die Landesgrenzen und ließ die Kassen klingeln, nicht zuletzt in Deutschland, wo Pat und Patachon bis heute als Stars der Leinwand geschätzt werden und als TV-Lieblinge gefeiert wurden, als ihre Filme in den 60er und 70er Jahren als Wiederholungen über den Bildschirm liefen.

Jannie Dahl Astrup, Filmarchivarin | 10. November 2023

"Über 20.000 Berliner feierten Pat und Patachon. Die dänischen Kino-Lieblinge zum 6 Tage-Rennen im Sportpalast". Die mit fett gedruckten Lettern gestaltete Überschrift der dänischen Boulevardzeitung B.T. lässt keinen Zweifel am Ausmaß des Erfolgs, der dem dänischen Regisseur von Farcen, Lau Lauritzen senior, mit dem Duo Carl Schenstrøm und Harald Madsen in den Rollen von Pat und Paterchon gelungen war. Aber aus welchen Gründen gelang es der Filmagentur Palladium aus so grundverschiedenen Typen einen Verkaufsschlager aus dem Boden zu stampfen, dass Berühmtheiten dem 6 Tages Rennen beiwohnten, ein Meer aus Menschen die Bahnsteige erstürmten und dass triumphale Wagenkortegen in den europäischen Großstädten zum Alltag gehörten? Vor allem, wenn man bedenkt, dass das sogenannte goldene Zeitalter der dänischen Filmindustrie schon längst der Vergangenheit angehörte.

Spielzeug, Kaffee und Schuhcreme

Vergleiche mit damaligen internationalen Filmstars standen Schlange. Schon 1922, lediglich ein Jahr nach ihrem Leinwanddebüt, wurden sie in ihrem schäbigen Landstreicheroutfits als die "dänischen Chaplins" angepriesen (Fredericia Socialdemokrat, 16.1.1922). Die Tageszeitung Politiken vergleicht in einem Telegramm aus Wien den dortigen Empfang der beiden Filmgrößen mit dem Hollywoodpaar Mary Pickford und Douglas Fairbanks, als diese im Jahr zuvor Kopenhagen einen Besuch abstatteten. Es versteht sich von selbst, dass Tageszeitungen damals wie heute zu aufsehenerregenden und affektheischenden Überschriften neigen, aber sowohl einschlägige Fotos aus der Presse sowie Kinorepertoires bestätigen den Umfang der Popularität der beiden Filmfiguren.

"Wenn einem danach war, konnte man sogar seinen Kaffee aus einem Pat und Patachon-Becher genießen und seine Schuhe mit Pat und Patachon-Creme putzen"

Haufenweise exaltierte Filmfans begegneten Schenstrøm und Madsen unentwegt, wo immer sie ihren Fuß setzten, und in vielen europäischen Kinos liefen ihre Filme wochenlang vor voll besetztem Publikum. Die zwei schüchternen und naiven Freunde waren schlechthin zeitgemäße Kassenschlager. In München konnten Kinogänger für so gut wie alle damals mit Pat und Patachon in der Zeit von etwa 1925 bis Mitte der dreißiger Jahre produzierten Filme Karten kaufen1.  Allein im Jahr 1927 gab es 15 verschiedene Pat und Patacon-Filme zur Auswahl im Repertoire der Münchener Lichtspielhäuser. Darunter Pat und Patachon am Nordseestrand, der mit seiner Handlung an der tosenden Nordsee – und mit Pat und Patachon in komödiantischer Höchstform – zu den besten und nachhaltigsten Werken von Palladium gehört. Das ungleiche Duo war überall anzutreffen: auf der großen Leinwand der Kinos, bei Premieren, als Pat und Patachon in Filmen, die im Ausland produziert wurden, als Figuren im Regal der Spielwarenläden, in Überschriften von Zeitungen und in Form von zahlreichen Imitationen, die umherzogen und sich für den kleinen kugelrunden Madsen und den langen Schenstrøm ausgaben. Und wenn einem danach war, konnte man sogar seinen Kaffee aus einem Pat und Patachon-Becher genießen und seine Schuhe mit Pat und Patachon-Creme putzen.

Die Nebenrolle und der Zirkusclown

Bevor sie die Zinnen der Berühmtheit erklommen hatten und von Regisseuren und Produktionsgesellschaften vor den Promovierungs- und Merchandisewagen gespannt wurden, verdiente Carl Schenstrøm (Pat) seinen Unterhalt als hart arbeitender Nebendarsteller in Lau Lauritzens Farce-Ensemble im Rahmen der "Nordisk Films Kompagni", während Harald Madsen (Patachon) als erfahrener Zirkusclown im Zirkus Miehe und später im Zirkus Schumann die Leute zum Lachen brachte. Letzteres hatte im Cirkusbygningen (das Cirkusgebäude) in Kopenhagen festes Engagement. Nach Ende der Zirkussaison übernahm hier das Großkino World Cinema die Unterhaltung des Publikums.

Im Fadenkreuz von Film, Zirkus und Kino entstand in Hellerup die Filmproduktionsgesellschaft Palladium, zunächst in schwedischer Hand mit dänischen Interessen und kreativen Leuten vor und hinter der Kamera. Als Regisseur Lauritzen in Zusammenarbeit mit Svend Nielsen, Letzterer damaliger Direktor des World Cinema, ging Palladium in rein dänischen Besitz über. Beide setzten sie die von Lauritzen gerade aus der Taufe gehobenen Filmserie mit Pat und Patachon auf eine Karte. Der allerersten Produktion mit den beiden Figuren fehlte noch die endgültige Form. Der hochaufgeschossene schlacksige Schenstrøm verkörperte zwar Patachon; ihm an die Seite gestellt spielte jedoch der diminutive Aage Bendixen, der auf diese Weise den (aller-) ersten Pat in der schwedischen Produktion Tyvepak (Diebespack) verkörperte mit Lauritzen als Regisseur.

Deutscher Triumphzug

Der erfahrene Lauritzen, der für Nordisk Film bereits für mehr als 200 Farcen zuständig gewesen war, erfand jedoch schnell eine tragfähige Formel für sein neues Kumpelpaar. Längere Filme mit ausgedehnteren Erzählungen ermöglichten Schenstrøm und seinem neuen Partner Madsen, ihre Charaktere besser zu entfalten und ihre Mimik zu verfeinern. Und als Palladium 1923 mit dem deutschen Filmfinancier Lothar Stark2 eine Vereinbarung traf, wodurch sich der Markt für Palladiums Filme vergrößerte, kam Pat und Patachons Karriere erst richtig in Fahrt.
Mit dem Film "Er, sie und Hamlet" von 1922 lag Deutschland dem Duo zu Füßen. All dies fand statt in Berlins großem Filmpalast "Marmorhaus" am Kurfürstendamm, von wo aus die deutsche Presse Telegramme über den überwältigen Erfolg nach Dänemark schickten. In Blitzes Eile ließ Palladium ganzseitige Inserate in einschlägigen Branchenblättern drucken mit ausführlichen Zitaten aus Rezensionen anlässlich der Premiere. Und vor der dänischen Presse rühmte Lauritzen unentwegt den Berlin-Erfolg: "Im Augenblick läuft "Er, sie und Hamlet" im Berliner Marmorhaus bereits vier Wochen in prallgefüllten Sälen - und dies trotz der sonst kinoflauen Jahreszeit. Und gleichzeitig zeigen 20 weitere Filmtheater unsere Arbeit in ganz Deutschland" (B.T. 10.3.1923).

"Pat und Patachon" – so taufte Palladiums deutscher Geschäftspartner Lothar Stark Fy und Bi (kurz für Fyrtårnet und Bivognen/ der Leuchtturm und der Beiwagen) für den deutschen Sprachraum3 – erreichten enorme Popularität und einen Rückhalt seitens des deutschen Publikums nach dem beispiellosen Erfolg von "Er, sie und Hamlet". Dank Lauritzens zuverlässiger Produktionsrate von vier Pat und Patachon-Filmen pro Jahr bis 1932 hatte Palladium für alle Kinos vorgesorgt. Und selbst am Vorabend des endgültigen Durchbruchs des Tonfilms lockten Stummfilme mit Pat und Patachon das deutsche Publikum noch in Scharen ins Kino. Pat und Patachon als Modekönige, in dem das Duo von Marguerite Viby (in ihrem Filmdebüt!) und Nina Kalckar begleitet wird, gehörte 1930 zu den meistgesehenen Stummfilmen in den deutschen Kinos. Schenstrøm und Madsen waren allgegenwärtig: als gigantische Werbung an den Fassaden der Kinopalästen und auf den Titelseiten der beliebten Filmmagazine. Am entscheidensten war vielleicht die Tatsache, dass die beiden dänischen Schauspieler in ihrer geerdeten und ungekünstelten Art sich als Projektionsfläche für ihre vielen tausend Fans anboten. Schenstrøms und Madsens Reiseaktivitäten, vor allem in Deutschland und Österreich, bezeugen die enorme Arbeit, um ihr Publikum bei der Stange zu halten.

Inszeniertes Aufsehen

Die beiden Schauspieler reisten viel als Folge ihrer zahlreichen Produktionen im Ausland (insgesamt 13  in den Jahren zwischen 1925 und 1937) . Ein Aufenthalt dauerte in der Regel mehrere Monate, aber hinzu kamen Tourneen überall in Europa, wo sie als Gäste bei Premieren, im Radio und anlässlich offizieller Empfänge in Gesand- und Botschaften auftraten. Hoch und Niedrig wollten ein Stück der beiden Landstreicher erhaschen, und Schenstrøm und Madsen rückten – weil vertraglich gebunden – an; oft unter Lebensgefahr angesichts der manischen Menschenmassen.

"Der Umstand, dass der erste Tonfilm der beiden Stummfilmstars eine deutsche Produktion war, zeugt von der starken Verankerung in der deutschen Filmkultur"

Als Hamburg 1931 die beiden Schausieler empfing, war die ganze Stadt aus dem Häuschen; es ging nämlich um die Promovierung ihres ersten Tonfilms "1000 Worte Deutsch" von 1930. Der Umstand, dass der erste Tonfilm der beiden Stummfilmstars eine deutsche Produktion war, zeugt von der starken Verankerung in der deutschen Filmkultur sowie von ihrer Präsenz im Bewusstsein des deutschen Publikums. Und der Aufenthalt in Hamburg, der sich über zwei Tage im Januar erstreckte, bildet keine Ausnahme. Im Vorfeld des Besuchs hatten die Hamburger Zeitungen Willkommensgrüße sowohl auf Deutsch als auch auf Dänisch und obendrein Ankunftzeit und Bahnsteig des Zuges drucken lassen. Mit anderen Worten: der perfekte Wegweiser, wo und wann man sich einfinden sollte, um Schenstrøm und Madsen zu bejubeln. Die Tageszeitung Politiken schrieb von 20.000 Menschen, während der Hamburger Anzeiger eher 10.000 einschätzte. In seinen Memoiren "Fyrtårnet fortæller" (Pat erzählt) ruft sich Schenstrøm genau dieses Ereignis mit gemischten Gefühlen in Erinnerung und die damit verbundene enorme Aufmerksamkeit. Er beschreibt sie mit den Worten "inszeniertes Aufsehen". "Am Ende hing es uns zum Hals raus, aber es gehörte eben Zum ganzen Wirbel" (1943, 134).

Pat und Patachon für immer und ewig

Ihr Ansehen als dänische "Chaplins", Deutschlands Kinolieblinge sowie als beliebte "Blockbusters" in anderen Ländern bedeutete für Schenstrøm und Madsen eine Schufterei vor der Kamera und das ständige Rühren der Werbetrommel, das ihnen vom Arbeitgeber abverlangt wurde.

"Fy und Bi oder eher Pat und Patachon überlebten im Bewusstsein der Deutschen dank beliebter Fernsehprogramme"

Andererseits trug ihre harte Arbeit auch ihre Früchte in der Ära des Tonfilms und des Fernsehens. Fy und Bi oder eher Pat und Patachon überlebten im Bewusstsein der Deutschen dank beliebter Fernsehprogramme, in denen die ursprünglichen Filme stark verkürzt, mit humoristischen Kommentaren aus dem Off, in schnellem Tempo und mit zeitgemäßer Unterlegungsmusik in den 60er und 70er Jahren über den Bildschirm liefen4

Das besondere Merkmal des Duos waren nicht die großen Armbewegungen und blitzartige Slapsticks, sondern eher ein gutmütiger Humor, der den besonderen Reiz der beiden Schauspieler ausmachte und dem Fernsehformat selten entsprach; In ihrer einzigartigen Chemie, den himmelwärts gerichteten Blicken, einem kleinen Klaps, der geduldigen Körperkomik – erst in dieser Kombination ging fürs Publikum alles auf.

Trotzdem schloss eine neue Generation die beiden Landstreicher ins Herz als ein charmant-komisches Kuriosum. Und heute noch lebt der Begriff Pat und Patachon fort in der deutschsprachigen Kultur als Ausdruck eines teils schlacksig und teils rundlich geratenes Paar.


Noter

1) Astrup, Jannie Dahl (2022). Fy og Bi: Et transnationalt filmfænomen. Doktorarbeit, Universität Kopenhagen.

2) Siehe Jannie Dahl Astrups Artikel über zwei Menschen, die für Palladiums internazionalen Erfolg zentral waren ”Verdensagenter og mægtige filmsmænd” – Palladiums transnationale forretningsforbindelser in Kosmorama #276.

3) Am Anfang seiner Karriere gehörte Lothar Stark der Filmprod.gesellschaft Cines an, die u.a. den Komiker Raymund Frau vermarktete, dessen Filmfigur Kri Kri unter anderem den Namen Patachon trug. Möglicherweise lässt sich daraus ein Bezug zur dt. Namensgebung ableiten.

4) Aping, Norbert (2021). Es darf gelacht warden. Von Männern ohne Nerven und Vätern der Klamotte. Lexikon derdeutschen TV. Slapstickserien Ost und West. Marburg: Schüren.


Jannie Dahl Astrup, Filmarchivarin | 10. November 2023

Pat und Patachon